Viele Menschen glauben, dass sie hauptsächlich auf rationale Weise entscheiden. Dabei ist es evolutionär bedingt nicht möglich, Entscheidungen völlig frei von unterbewussten Handlungsmustern zu treffen.

Doch wie genau trifft der Mensch Entscheidungen? Und ist es moralisch vertretbar, im Onlinehandel auf intuitive Verhaltensmuster zurückzugreifen, um gewünschte Reaktionen bei Kundinnen und Kunden auszulösen?

Wie trifft der Mensch Entscheidungen?

Unser Gehirn verfügt über zwei Entscheidungssysteme: eines für intuitives und impulsives Denken (System 1) und eines für kontrolliertes und rationales Denken (System 2). Der Großteil aller Entscheidungen wird spontan im intuitiven System getroffen, basierend auf evolutionsbiologisch erlernten Faustregeln. Handeln wir ohne zu überlegen, so werden wir von unserem intuitiven Entscheidungssystem (System 1) gesteuert. Experten und Expertinnen schätzen, dass zwischen 75 und 98 Prozent aller Entscheidungen intuitiv und impulsiv getroffen werden.

Obwohl diese Faustregeln uns dabei helfen, schnell und effizient zu handeln, sind sie fehleranfällig und führen oft zu kognitiven Verzerrungen. Heute sind viele dieser Heuristiken bekannt, was uns die Möglichkeit gibt, unbewusste Entscheidungen durch die Aktivierung bestimmter Verhaltensmuster hervorzurufen.

Warum Behavior Patterns im E-Commerce unverzichtbar sind

Basierend auf Heuristiken bilden Behavior Patterns das Fundament unseres Handelns und helfen, schnelle und effiziente Entscheidungen zu treffen. Kognitive Verzerrungen oder „biases“ berücksichtigen die Fehleranfälligkeit dieser Faustregeln. Welche Gründe sprechen dafür, menschliche Verhaltensmuster und die daraus resultierenden Fehlentscheidungen im E-Commerce zu nutzen?

Unumstritten ist das Ziel vieler E-Commerce-Unternehmen durch den Einsatz von Behavior Patterns ihre Conversion Rate zu steigern und damit das Wachstum ihres Unternehmens zu fördern. Darüber hinaus bieten Behavior Patterns die Chance, die Usability von Webanwendungen und Onlineshops grundlegend zu verbessern. Wie Steven Krug in “Don’t make me think!” beschreibt, möchten Webseitenbesucher ihr Ziel auf einer Website mit dem geringstmöglichen kognitiven Aufwand erreichen.

Eine benutzerfreundliche Website ist nicht nur ein uneigennütziges Ziel für Betreibende, sondern betriebswirtschaftlich von großer Bedeutung. Die Akquise von Neukunden verursacht gegenüber der Bestandskundenpflege deutlich höhere Kosten, weshalb die nachhaltige Kundenbindung im Fokus eines jeden Unternehmens stehen sollte. Voraussetzung dafür ist, dass Kundinnen und Kunden auch mit Entscheidungen die intuitiv und gegen den rationalen Willen getroffen wurden, langfristig zufrieden sind.

Die 8 wirkungsstärksten Behavior Patterns im Onlinehandel

Scarcity

Begrenzte Verfügbarkeit oder zeitliche Limitierung eines Produkts oder Angebots kann dazu führen, dass wir schneller eine Kaufentscheidung treffen. Durch Limitierung erscheint das Angebot wertvoller und erhöht die Kaufmotivation der Kundschaft. Ein begrenztes Angebot oder die Anzeige von geringen Lagerbeständen in Onlineshops motivieren zu einem schnelleren Kaufentschluss.

Quelle: booking.com

Availability Heuristic

Fehlen uns Statistiken, neigen wir dazu, die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen falsch einzuschätzen. Wir tendieren dazu, die Option zu wählen, an die wir uns schnell und einfach erinnern. Selbst einmalige Ergebnisse beeinflussen uns oft stärker als sie sollten und können so unsere Wahrnehmung der Realität verzerren. Beispielsweise kann die mediale Berichterstattung bei einem Flugzeugabsturz dazu führen, dass wir das Risiko eines Flugzeugunglücks für wahrscheinlicher halten, als es tatsächlich ist. Im E-Commerce Kontext zeigt sich die Verfügbarkeitsheuristik z. B. in der Wirkung von Marken. Kundinnen und Kunden tendieren oft dazu, ein bekanntes Markenprodukt zu wählen, da es im Gedächtnis schneller abrufbar ist und so vertrauter erscheint.

Affect Heuristic

Oftmals treffen wir Entscheidungen aufgrund von Gefühlen und Intuition aus dem Bauch heraus, anstatt rational auf Basis von Fakten und Statistiken. Entschlüsse für oder gegen ein Produkt basieren häufig auf denemotionalen Vorlieben oder Abneigungen der Kundinnen und Kunden gegenüber den Wahlmöglichkeiten. Die Kommunikation des bevorstehenden Muttertags kann beispielsweise so starke positive Emotionen bei Personen hervorrufen, dass sie mehr Geld für ein Geschenk ausgeben, als sie es sonst tun würden.

Quelle: apple.com

Decoy Effect

Stehen nur zwei Optionen zur Verfügung, fällt es uns oft schwer, sich für eine Option zu entscheiden. Bestehen zwei Optionen A und B wählen Kundinnen und Kunden oft die günstigere Option A. Fügt man jedoch eine dritte Option C hinzu, die sich stark von Option B unterscheidet und entweder günstiger ist oder schlechter erscheint, kann dies die Entscheidung für die teurere Option B erleichtern. Option C fungiert als unattraktiver Köder, der den Unterschied zwischen den beiden ursprünglichen Optionen A und B verdeutlicht und Option B als besonders attraktiv erscheinen lässt.

Quelle: rheinwerk-verlag.de

Reciprocity

Erhalten wir ein Geschenk oder eine Gefälligkeit, fühlen wir uns oft verpflichtet, etwas zurückzugeben, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Dieses Prinzip beruht auf einem emotionalen Bedürfnis, das in uns allen tief verwurzelt ist – dem Bedürfnis, unsere Beziehungen zu anderen aufrechtzuerhalten und zu pflegen. Im Onlinehandel kann dieses Phänomen beispielsweise zu Beginn eines Abonnements geschickt genutzt werden, indem den Kundinnen und Kunden die erste Lieferung gratis angeboten wird. Dadurch entsteht oft ein Gefühl der Verpflichtung, länger im Abonnement zu bleiben, als es zu Beginn beabsichtigt war.

Quelle: hellofresh.de

Halo Effect

Der Halo Effect lässt uns innerhalb von Sekunden ein Bild von anderen Personen oder Dingen formen, welches unser Verhalten und unsere Wahrnehmung nachhaltig beeinflusst. Die visuelle Gestaltung von Websites oder Onlineshops ist ein konkretes Beispiel dafür, wie schnell und prägend der erste Eindruck sein kann. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheiden Kundinnen und Kunden aufgrund des Website-Layouts, ob sie Vertrauen oder Misstrauen gegenüber des Onlineauftritts entwickeln. Dieser erste Eindruck kann auch bei längerer Betrachtung bestehen bleiben und spätere Entscheidungen stark beeinflussen.

Quelle: wbs.legal

Loss Aversion

Bei drohenden Verlusten neigen wir oft zu irrationalen Entschlüssen. Das liegt daran, dass der Schmerz, den wir empfinden, wenn wir etwas verlieren, oft als doppelt so stark empfunden wird wie die Freude, die wir fühlen, wenn wir eine Überraschung erhalten. Unternehmen können die Verlustaversion ihrer Kundschaft nutzen, indem Angebote und Gutscheine stets eine zeitliche Begrenzung haben. Kostenlose Abo-Monate, z. B. der Testzeitraum eines Premium-Abos, können Kundinnen und Kunden die Vorteile des Abonnements nahebringen. Während der Testphase gewöhnt sich die Person an diese Vorteile und es droht der Verlust, wenn das Abo nach dem Testzeitraum nicht fortgeführt wird.

Quelle: spotify.com

Anchoring Bias

Einmal wahrgenommene Informationen nehmen wir als Referenzpunkt für weitere Entscheidungen zur Hilfe, auch wenn diese eigentlich irrelevant sind. Dieser Referenzpunkt beeinflusst die anschließende Bewertung nachfolgender Informationen oder Angebote. Eine bewusste Auseinandersetzung mit weiteren Informationen findet meist nicht mehr statt, da der Fokus bereits auf dem Ankerpunkt liegt. Kundinnen und Kunden akzeptieren beispielsweise höhere Preise für ähnliche Produkte, wenn sie zuvor ein teures Produkt gesehen haben. Durch das Platzieren eines teuren Produkts am Anfang einer Produktauswahl wird ein Preisrahmen im Kopf der Kundschaft festgelegt. Spendenorganisationen nutzen z. B. den durchschnittlichen Spendenbetrag als Referenzpunkt, um Spendende dazu zu ermutigen, mindestens diesen Betrag beizusteuern. Durch die Verwendung eines Referenzpunkts kann der Ankereffekt dazu beitragen, dass Menschen höhere Beträge spenden, als sie es ohne eine solche Orientierung getan hätten.

Quelle: wwf.de

Die Gefahren von Behavior Patterns: Warum ein ethisch-moralischer Umgang unerlässlich ist

Der Einsatz von Behavior Patterns ist auch mit Risiken verbunden. Zwischen den Patterns bestehen gegenseitige Verstärkungs- oder Kannibalisierungsprozesse. Der unsachgemäße Gebrauch kann Kundenbeziehungen nachhaltig schädigen und dazu führen, dass Nutzer und Nutzerinnen dauerhaft negative Assoziationen mit dem Produkt, der Anwendung oder dem Unternehmen verknüpfen. Aus diesem Grund dürfen Verhaltensmuster nur sehr bewusst und durchdacht eingesetzt werden. Falsch platzierte Auslöser im Benutzeroberflächen-Design können Nutzende ablenken und ihn im Flow unterbrechen. Um sicherzustellen, dass sich die Conversion Rate bei falscher Nutzung der Patterns nicht verschlechtert, sollten Optimierungen immer einem A/B-Test unterzogen werden. Dabei wird den Nutzerinnen und Nutzern nach dem Zufallsprinzip die optimierte Version oder die Originalversion angezeigt und analysiert, welche besser oder schlechter konvertiert. Im Interesse einer nachhaltigen und gewinnbringenden Kundenbeziehung sowie aus ethisch-moralischen Gründen muss beim Einsatz von potenziell manipulativen Techniken immer das Kundenbedürfnis im Fokus stehen!

Zum Autor

Lisa Frohwieser ist Online Marketing Managerin und studiert E-Commerce an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Sie arbeitet im Rahmen eines sechsmonatigen Praktikums bei rocket-media in der Abteilung für User Experience und Usability. Lisa analysiert gerne Kundenbedürfnisse und entwickelt daraus benutzerfreundliche Lösungen.

rocket-media Lisa Frohwieser (Linkedin)

Bildquellen:
Beitragsfoto von rupixen.com auf Unsplash und rocket-media