Häufig wird bei der Bewertung von Prozessabläufen und bestehenden Anwendungen “Nägel mit Köpfen” gemacht, ohne auch “Köpfchen” einzusetzen. Gerade Wettbewerbsdruck sorgt immer wieder dafür, bei der Digitalisierung eigene, jahrelang entwickelte Kompetenzen leichtfertig abzulegen.

Was genau bedeutet “Legacy” für Banken?

Schon eine genaue Betrachtung des Begriffs “Legacy” bietet viel Raum zum Nachdenken: Der kann nämlich “Altlast” bedeuten, aber auch “Vermächtnis”. Es ist in der digitalen Transformation keineswegs alles schlecht, was bisher – möglicherweise schon seit vielen Jahren – über ein vermeintlich nicht mehr zeitgemäßes Legacy System bereitgestellt wurde. Wir sehen gerade bei kleineren Banken häufig kleine Programmwerkzeuge, die einst von einer engagierten IT-Abteilung geschrieben wurden und immer noch intern eingesetzt werden. Weil sie genau den institutseigenen Bedarf treffen, weil sie ein Kernstück eines inzwischen etablierten Produkts sind oder weil sie schlicht schon seit Jahren von Mitarbeitern regelmäßig genutzt werden.

Legacy Programme sind Altlast und Vermächtnis

Hier ist “Legacy” nicht einfach eine Altlast, sondern ein Vermächtnis. Solche einstigen Prozesswerkzeuge sind wertvoll in der Abbildung von Prozessen in neuen Systemen, um den Bedarf im eigenen Haus genau abzubilden. Dinge und Abläufe, die Fintechs im Detail noch erdenken müssen, haben viele ältere Banken schon viele Jahre lang in ihren Systemen. Sie müssen nur erkannt und gesichert werden, um sie dann in zukünftige Prozessmodellierungen zu integrieren.

Der Weg ist daher vergleichbar mit dem eines Archivars:

  • Welche Funktionen eines Legacy Systems sollen geschützt und transformiert werden? Eine Frage, die sich nicht nur die IT-Abteilung stellen darf, sondern die gesamte Einsatzkette bis hin zum Mitarbeiter, der die Funktion einsetzt.
  • Lassen sich bisher manuell eingesetzte Werkzeuge auch in digitalen Robotic-Process-Automation-Abläufen nutzen?
  • Gibt es eine technische Dokumentation des Legacy Systems, die für Techniker eine Referenz darstellen, um das System zu verstehen? Oftmals schlummern gerade bei kleinen, institutseigenen Programmen höchst wertvolle Technikdokumentationen in alten Aktenordnern. Diese Dokumentationen sind bares Geld wert.
  • Haben Legacy Systeme möglicherweise (auch undokumentierte) zuverlässig nutzbare Schnittstellen, wenn das Hostsystem noch eingesetzt werden kann und soll? Bedacht werden muss hier auch eine eventuelle Übergangszeit bei der Migration.
  • Mit welchen Mitteln lässt sich die Prozesslogik, die bisher durch ein Legacy System bereitgestellt wurde, anderweitig abbilden und einsetzen?

Klar ist: Nur wenig Prozessmechanik kommt hier von der Stange und sehr häufig braucht es einen Blick von Dritten, um zu erkennen, was an liebgewonnenen Methoden auch tatsächlich zukunftsfähig ist. Das aber ist häufig kein Nachteil, sondern ein Vorteil, den es einzusetzen gilt, auch vor allem im Wettbewerb gegenüber anderen und vor allem neuen Marktteilnehmern mit nur wenig langjähriger Erfahrung.

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