Für dauerhaften Erfolg braucht es vor allem Achtsamkeit und Resilienz

Gastbeitrag: Leonhard Fromm Theologe und Wirtschaftsredakteur

Michael R. ist eine begnadeter Verkäufer von Finanzprodukten und seine ruhige Art kommt bei Kunden wie Mitarbeitern gut an. Kein Wunder, dass er über die Jahre vom Team- zum Gruppenleiter aufsteigt, wo er Führungs- und Budgetverantwortung für 24 Kollegen hat. Aufkommende Probleme und Zielkonflikte sowie deutlich längere Arbeitszeiten tut der 46-Jährige damit ab, dass dies in einer Einarbeitungsphase normal sei. Nach 18 Monaten findet der Süddeutsche aber nur noch mit Schlafmitteln nachts Ruhe. Und seine Partnerschaft zerbricht, weil er kaum mehr Zeit für seine Lebensgefährtin hat.

Michael R. ist kein Einzelfall. Viele Menschen finden im beruflichen Erfolg die Anerkennung, die sie seit ihrer Kindheit suchen. Der eine kompensiert damit die vermeintliche Demütigung, in der Schule eine Klasse wiederholt haben zu müssen. Der andere bekam von seiner Mutti immer nur Zuwendung, wenn er etwas richtig gut gemacht hatte. Und beim dritten war der Vater vermeintlich ein solcher Versager und die Familie lebte von Sozialhilfe, dass der Sohn nur möglichst weit weg von dieser Situation will. 

Oskar M. beispielsweise, der gelegentlich sogar im Büro übernachtete, kam erst zur Besinnung, als Angehörige seiner sieben Mitarbeiter bei ihm anriefen und ihm sagten, ihre Partner würden kaum mehr schlafen, soziale Beziehungen und ihre Hobbies vernachlässigen. Der Grund war immer derselbe: Sie mochten ihren Vorgesetzten und identifizierten sich mit seinem Team, weshalb sie weit über ihre persönlichen Grenzen gingen, um die immer ambitionierteren Vorgaben zu erfüllen. 

Und warum das alles? Weil Oskar M. nicht gelernt hatte, seinem Bereichsleiter auch einmal Nein zu sagen. Denn im Kern war der Bankbetriebswirt und Experte für Dialogmarketing ein Ja-Sager, der es allen recht machen wollte. Dazu muss man wissen, dass die Ehe der Eltern des mittlerweile 54-Jährigen sehr schwierig war. Der Sohn hatte dabei verlernt, eigene Interessen zu vertreten und immer taktisch zwischen den Eltern laviert, damit alles friedlich bleibt. In dieser Kindheit hat er seine Vorliebe für Zahlen, Daten und Fakten kultiviert, denn Gefühle waren immer mit Trauer verbunden.

Business-Coaches, gerade wenn sie einen therapeutischen Hintergrund haben,  kennen viele solcher Beispiele. In einem anderen Fall holte sich eine Führungskraft sogar erst nach einem gescheiterten Suizidversuch professionelle Hilfe. Auch dieser Spezialist für hochpreisige Immobilien kann heute seinen Job trotz hoher Vorgaben besser denn je machen. Voraussetzung dafür war eine tiefe persönliche Auseinandersetzung mit sich selbst. Das kann in einer Gruppe geschehen oder im Einzel. Entscheidend ist, dass der Raum dieser Offenbarungen geschützt ist, der Klient freiwillig kommt, die Unterstützung professionell erfolgt und ähnlich wie bei einer Zwiebel die Schichten nacheinander und behutsam abgetragen werden.

Denn Veränderung braucht drei Faktoren: Achtsamkeit (Awareness), also spüren,  hinsehen und hinhören, was ist. Selbstliebe (Resilienz), also sich selbst lieben und diese Grundannahme nicht von den Launen und Aussagen anderer abhängig machen. Und schließlich Zeit. Sehr viel Zeit. Denn Muster, die sich über Jahrzehnte eingeschliffen haben, lassen sich nur durch viele Wiederholungen neuer, besserer Modelle decodieren. Das ist vergleichbar einem PC, dessen alte Programme gelöscht und neue peu à peu aufgespielt werden. Das ist zugleich die gute Nachricht: Wir haben zu jedem Verhalten immer mindestens eine Alternative.

Dass Veränderung dennoch meist nur nach Krisen gelingt, liegt daran, dass die Einsichten, die man hier über sich gewinnt und wie man es bisher gemacht hat, fast immer sehr schmerzhaft sind und tiefe Trauer und Wut auslösen. Doch beides gehört zur Veränderung, auch wenn Männer generell und Führungskräfte ohnehin sich meist damit sehr schwertun. Sie sind tendenziell Vermeider, sobald es um sie selbst geht. Würden sie sich selbst nur halb so viel „warten“ wie ihre Autos, viele Depressionen, Burn-outs und Gewaltexzesse würden vermieden.

Stattdessen quälen sie sich in der wenigen Freizeit weiter mit Ausdauersport, Ernährungsplänen etc. statt sich noch einmal aus der Erwachsenenperspektive die Demütigungen ihrer Schulzeit oder die Deformationen ihrer Kindheit anzuschauen. Denn aus der Perspektive des Erwachsenen können sie ihr Trauma der Ausweglosigkeit und Verzweiflung auflösen und ihr Leben neu inszenieren. Das Drehbuch quasi neu schreiben und ihrerseits – im geschützten Raum eines therapeutischen Settings – den Lehrer (und damit die „Obrigkeit“) ihrerseits verhöhnen oder mit dem strengen, gefühlskalten Vater „abrechnen“.

Zugleich kann sich der Betroffene vergegenwärtigen, dass er ein Sieger ist, weil er die damalige Situation überlebt hat. Er kann nun aus der Erwachsenenperspektive prüfen, in wieweit ihm die damals antrainierten Muster noch hilfreich sind, sein heutiges Leben mit Familie, Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern zu gestalten. Zwar ist das alles verkürzt und pauschal dargestellt, aber im Kern geht es darum, die Muster zu dechiffrieren, die unserem Denken und Handeln zu Grunde liegen und neue Regeln auszuprobieren, die sich jeder selbst gibt.

In der Gestalttherapie geht es explizit darum, die eigene Handlungsklaviatur zu erweitern. Denn mit Mitarbeitern verhandelt man auch anders als mit vermögenden Privatiers, Darlehensnehmern oder der eigenen Ehefrau. Und mit „einfachen Leuten“ spricht man idealerweise anders als mit erfolgreichen Unternehmern. So geht es bspw. darum, nicht – wie programmiert – auf Angriff immer mit Rückzug zu reagieren. Oder auf Unsicherheit mit Angriff. Oder die Scham wegzulachen. 

So fand ein Leiter mehrerer Filialen, der stets seine Gefühle und Körpersignale ausblendete und dadurch lange Zeit sehr belastbar war, mit professioneller Unterstützung heraus, dass er als Zweijähriger vernachlässigt worden war und deshalb seine Bedürfnisse „abschaltete“, um den Schmerz des Übersehen-werdens nicht mehr spüren zu müssen. Seither ist der Mann authentisch, empathisch und seine Teams und deren Leiter sind deutlich effizienter. 

Tatsächlich helfen uns unser Körper und unser Unterbewußtsein, kritische Situationen zu überleben. Weil aber diese Muster (im Reptilien-Gehirn, das nur Flucht und Angriff kennt) nur für Krisensituationen ausgebildet wurden, sind sie eben auf Dauer hinderlich bis zerstörerisch, wenn sie nicht (im Gehirnsystem der drei limbischen Ebenen) variiert werden. Und in Form von Erziehung werden sie auch noch unreflektiert weitergegeben. So war für die Kriegsgenerationen vor allem satt werden ein zentrales Motiv. Oder für die Vertriebenen nach 1945 sich schnell in der neuen Umgebung anzupassen. Für deren Sohn oder Enkel mag es aber in der Hierarchie einer großen Bank günstiger sein, sich erst zu orientieren oder dauerhaft unbequeme Fragen zu stellen.  

Mancher Banker hat Angst, auf dem Weg zu mehr Achtsamkeit und Resilienz seine Kriegerenergie zu verlieren, mit der er in Meetings das Wort ergreift oder bei Vertragsabschlüssen seine Konditionen durchsetzt. Das Gegenteil ist aber zunehmend der Fall, weil der Achtsame viel angemessener auf andere zugehen kann und sich selbst vor zu vielen Verwundungen schützt, die er zuvor geradezu wehrlos eingesteckt hat. Angreifen kann der Achtsame – im Bild der Archetypen gesprochen der Liebhaber – auch weiterhin. Denn der Krieger ist ja in ihm angelegt und jederzeit abrufbar. Nur entscheidet er nun selbst, in welche Schlacht er zieht – und nicht mehr der andere. Das nennt man Resilienz.

Mächtig fühlt sich die Führungskraft, die gelernt und trainiert hat, auch einmal Nein zu sagen. Sich überhaupt vor einer Entscheidung bewusst zu werden, was man wirklich will und dabei auch das Warum zu klären. Das erfordert Mut, klärt, schenkt Freiheit und verleiht Macht. Dafür braucht es sehr viele Übungen und Experimente in kleinen Schritten, die z.B. heißen: Heute achte ich darauf, in welcher Kommunikation eine Forderung an mich gestellt wird. Oder: Bei jeder Entscheidung, vor die ich heute gestellt werde, erbitte ich mir bis morgen Bedenkzeit.Denn Menschen, die bspw. mit Appellen domestiziert wurden, reagieren gerne aufs Wort. Durch solche Wahrnehmungsübungen, die Zeit brauchen, werden uns Sachverhalte bewusst. Wir müssen also entschleunigen statt aktionistisch zu werden. Und wenn die Richtung falsch ist, ist ein höheres Tempo Quatsch. Je mehr uns bewusst ist, desto souveräner können wir reagieren. Deshalb sind reflektierte Vorstände, Direktoren und Bereichsleiter empathischer, gesünder, beliebter, produktiver und vieles mehr. Probieren Sie es aus!

ZUM AUTOR
Leonhard Fromm ist Theologe und Wirtschaftsredakteur. Nach Stationen bei Tageszeitungen macht er sich 2001 mit einer Kommunikationsagentur selbstständig, die aktuell mit fünf Mitarbeitern für 16 Markt- und Technologieführer arbeitet. 2010 bis 2014 macht der 56-Jährige eine Ausbildung zum Gestalttherapeuten und arbeitet seither auch als Business-Coach. www.der-lebensberater.net