Aktuell verändert sich das Berufsfeld von UX-Professionals rasant. Unter anderem die Möglichkeiten in der Nutzung von KI sind hier ein Treiber, aber auch generell wirtschaftliche Veränderungen, die die Entwicklung digitaler Produkte weiterhin dynamisieren und beschleunigen.
„UX-Design“ umfasst klassischerweise das Handwerkszeug der menschzentrierten Gestaltung: User Research, Definition von Nutzungsanforderungen, User Interface Design und Usability Testing. Die Anforderungen an die Rolle verschieben sich jedoch immer mehr hin zu strategischen Aufgaben und Fragestellungen. Der Fokus auf die gesamte User Experience wird wichtiger. Das bedeutet, weniger in Einzelprodukten zu denken und stattdessen ganzheitliche Produkt-Service-Systeme zu entwickeln, die an jedem Touchpoint perfekt aufeinander abgestimmt sind und Nutzende zielgerichtet unterstützen.
Der Begriff „Product Designer*in“ ist in immer mehr Unternehmen auf dem Vormarsch. Doch was genau bedeutet er und wie wirkt sich der Rollenwandel faktisch auf die berufliche Praxis aus?
1.1 Von Spezialist*innen zu Generalist*innen?
UX-Professionals agieren im Kern als Bindeglied zwischen Nutzenden und Technik. Mit der zunehmenden Verbreitung menschzentrierter Methoden hat sich UX zu einer unverzichtbaren Rolle vor allem in agilen Produktteams entwickelt. Und nicht nur das Interface, sondern die gesamte User Experience sind in der Entwicklung und Optimierung immer mehr in den Fokus gerückt.
Die Rolle von „Product Designer*innen“ ist dahingehend noch etwas weiter gefasst. Hier geht es nicht mehr „nur“ um Konzeption, Gestaltung und Evaluation digitaler Produkte, sondern auch darum, Produktziele, KPIs, Marktpositionierung, technische Machbarkeit bis hin zur Markteinführung mitzudenken und zu bearbeiten. Der gesamte Produktlebenszyklus sowie dessen Einbettung in eine größere Produkt-Service-Landschaft müssen betrachtet und professionell verantwortet werden. Die Grenzen zwischen UX, Produktmanagement und technischer Umsetzung verschwimmen damit zunehmend.
1.2 Gründe für den Wandel
Warum verschiebt sich das Aufgabenspektrum in der Entwicklung digitaler Produkte? Mehrere Veränderungen wirken hier zusammen:
- Agile Teams arbeiten cross-funktional und iterativ – das fördert zunehmend Rollen, die über mehrere Disziplinen hinweg denken und handeln müssen.
- Generell beschleunigen sich die Entwicklungszyklen digitaler Produkte. Nachweisbare Wertschöpfung und ein schnelles Time-to-Market spielen weiterhin eine zunehmend wichtige Rolle.
- Design-Systeme und kollaborative Tools ermöglichen eine engere Verzahnung von Design, Entwicklung und Betrieb – isolierte Tasks und grafische Gestaltungsarbeiten verlieren an Relevanz.
- Wirtschaftlicher Druck sorgt dafür, dass UX und Design stärker mit Businesszielen verknüpft werden müssen – der Argumentationsdruck für strategische Produktentscheidungen steigt.
- Die Nachfrage nach strategischer Wirkung nimmt zu – eine gute UX allein reicht oft nicht mehr aus, wenn im Abgleich mit Geschäftszielen Entscheidungen über Roadmaps und Prioritäten getroffen werden sollen. Gute UX muss zudem anhand entsprechender KPIs belegt werden können.
- Menschzentrierte Methoden werden auch von anderen Fachexpertinnen und -experten übernommen und ausgeführt. Zum Beispiel Interviewtechniken zu lernen erscheint auf den ersten Blick nicht allzu schwierig. Das fachlich erforderliche Know-how zur methodisch sauberen Durchführung und validen Einordnung entsprechender Ergebnisse wird hier oft unterschätzt.
1.3 Chancen im Wandel
Diese Entwicklung bedeutet nicht das Ende der UX-Rolle, sondern deren Erweiterung. UX-Professionals benötigen erweiterte Kompetenzen, um mit den aktuellen Veränderungen Schritt zu halten, wie
- Businessverständnis: Wie wird konkret Wert geschaffen und für wen? Welche Metriken zählen?
- Priorisierung und Produktdenken: Was schafft wirklichen Mehrwert für Nutzer*innen, Kundinnen und Kunden und an welchen Stellen in der gesamten User Experience geschieht das?
- Kommunikation und Stakeholder-Management: Der Wert von Design muss anderen Rollen und Fachexpertinnen und -experten vermittelt und in Entwicklungsprozessen verankert werden. Design vermittelt Produktideen schnell und überzeugend – was wann wie und gegenüber wem kommuniziert wird, muss gut überlegt sein.
Gleichzeitig ergeben sich Chancen: Wer Gestaltung, Research und Produktstrategie zusammenbringt, kann größeren Einfluss im Unternehmen nehmen und Design von einem „Service“ am Prozessende zur treibenden Kraft machen.
1.4 Was bedeutet das für Teams und Unternehmen?
Der Rollenwandel ist kein Selbstzweck. Unternehmen sollten nicht einfach UX durch „Product Design“ ersetzen, sondern bewusst reflektieren: Was braucht unser Team? Spezialisierte Aufgaben wie User Research, UX Writing oder Visual Design bleiben wichtig. Die Arbeitsweisen in diesen Bereichen jedoch verändern sich aufgrund von KI-Nutzung – viele manuelle Aufgaben lassen sich automatisieren und beschleunigen.
Produktverantwortung im Design kann generell nur funktionieren, wenn auch Freiräume, Verantwortung und entsprechende Entscheidungsbefugnisse für UX-Professionals geschaffen werden.
1.5 Fazit
„Product Design“ ist mehr als ein neues Label, es steht für einen Perspektivwechsel: vom Design einzelner Touchpoints zur Mitgestaltung ganzer Produkt-Service-Systeme. Für UX-Professionals bedeutet es, ihre Rolle weiterzuentwickeln.
Zur Autorin
Carmen Hartmann-Menzel ist Usability Engineer bei rocket-media und betreut hier namhafte Kunden aus Mittelstand und Industrie. Sie ist anerkannte Seminar-Trainerin nach dem Standard des „International Usability and User Experience Qualification Board (UXQB)“. Seit 20 Jahren lehrt sie in den Bereichen Design / UX an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland und wurde im September 2019 auf eine Professur an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd im Studiengang „Interaktionsgestaltung“ berufen.
Bildquellen: rocket-media, unsplash












