Die Digitalisierung schreitet voran – und das am 28. Juni 2025 in Kraft tretende Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) zeigt, dass es dabei um mehr als Technik geht. Es geht um Chancengleichheit und digitale Teilhabe, und das BFSG verpflichtet erstmals auch private Wirtschaftsakteure, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten.
Doch was genau bedeutet das für Unternehmen?
Ziel ist es, dass Menschen mit Beeinträchtigungen diese Angebote problemlos und ohne fremde Hilfe nutzen können. In diesem Beitrag erläutern wir, was genau das BFSG beinhaltet, worauf es dabei ankommt und was Unternehmen beachten müssen.
1. Was ist das BFSG?
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist nicht neu, aber wichtiger denn je. 2012 vom deutschen Bundestag verabschiedet und durch die EU-Richtlinie EN 301 549 umgesetzt, sorgt es für klare und einheitliche Standards in punkto Barrierefreiheit. Es folgt somit der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV) 2.0, die schon seit 2019 für öffentliche Stellen rechtskräftig ist. Mit dem Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act, EAA) haben sich die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, u. a. dafür zu sorgen, dass der gesamte Online-Handel für Verbraucher*innen barrierefrei und sicher gestaltet wird. Die Marktüberwachung sorgt dafür, dass die festgelegten Standards auch wirklich eingehalten werden. Wer sich bislang wenig mit digitaler Barrierefreiheit befasst hat, sollte jetzt aktiv werden.
2. Wer ist vom BFSG betroffen?
Das BFSG verpflichtet erstmals auch private Wirtschaftsakteure dazu, mehr digitale Barrierefreiheit zu schaffen. Vor allem Unternehmen, wie Hersteller, Importeure und Händler von Produkten sowie Anbieter von Dienstleistungen, von Ausnahmen abgesehen, die sich ausschließlich oder auch an Verbraucherinnen und Verbraucher wenden, müssen ihre Websites, Apps, Onlineshops und Dokumente barrierefrei gestalten. Kurz gesagt: Wenn Sie über digitale Kanäle Services und Produkte für Endverbraucher*innen anbieten, sind Sie von dem Gesetz betroffen.
Wen sprechen Sie an? | BFSG relevant | BFSG noch nicht relevant |
Sie sprechen ausschließlich Endkunden an. | x | |
Sie sprechen sowohl Endkunden als auch Geschäftskunden an. | x | |
Sie sprechen ausschließlich Geschäftskunden an. | x |
Hier ein paar Beispiele für Produkte und Services, die digital genutzt werden:
- Computer und Betriebssysteme
- Geldautomaten und Zahlungsterminals
- Telekommunikations- und Bankendienstleistungen
- Mobiltelefone, Tablets, Fernseher, E-Books und andere audiovisuelle Medien
- Elektronischer Geschäftsverkehr (Websites, Apps und Onlineshops)
- Dokumente (PDF/UA – „UA“ steht für Universal Accessibility. Dieser Standard definiert Anforderungen an die Barrierefreiheit eines PDF-Dokuments.)
Was bedeutet digitale Barrierefreiheit?
Barrierefreie IT-Lösungen sind der Schlüssel zu einer zunehmend digitalen Welt, in der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben sollen. Barrieren in der digitalen Welt existieren und können für alle Menschen auftreten. Damit gute barrierefreie IT-Lösungen entstehen können, muss zunächst ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, worin genau die Einschränkungen bestehen.

Visuelle Einschränkungen
- Mangelhafte Farbkontraste
- Visuell versteckte Inhaltsbereiche
- Zu kleine Schrift und zu kleine Bedienelemente

Akustische Einschränkungen
- Videos ohne Untertitel
- Tonaufnahmen ohne Erläuterung
- Zu laute Umgebung

Motorische Einschränkungen
- Bedienung mit Tastatur nicht oder eingeschränkt möglich
- Kein sichtbarer Fokus
- Koordinativ instabile Situation

Kognitive Einschränkungen
- Unnötig schwierige Sprache, wie Fachbegriffe, Fachjargon etc.
- Keine intuitive Struktur, bspw. in der Navigation
- Inhalte ohne klare Anleitungen oder Erklärungen

Sprachliche Einschränkungen
- Inhalte nur in einer Sprache verfügbar oder teilweise fehlende Übersetzungen
- Verwendung von Dialekten, die schwer verständlich sind
- Unstrukturierte Texte ohne Absätze oder Zwischenüberschriften
Wichtig ist auch zu wissen, dass diese Einschränkungen auf verschiedene Arten auftreten. Es gibt permanente Einschränkungen, von denen man durchgehend betroffen ist und entsprechend von Behinderungen spricht. Es gibt zeitweise Einschränkungen, die zum Beispiel durch eine Verletzung oder Krankheit verursacht werden. Und dann gibt es noch die situativen Einschränkungen, die zum Beispiel beim Autofahren oder beim Tragen von Gegenständen auftreten können.
Wir sollten uns bewusst machen, das digitale Barrierefreiheit für alle Menschen ein großer Gewinn ist, wobei einige Personengruppen darauf angewiesen sind, dass IT-Lösungen barrierefrei sind. Kurz gesagt: Digitale Barrierefreiheit ermöglicht erst die digitale Teilhabe und sollte dabei so nutzerfreundlich wie möglich sein.
Viele Unternehmen nutzen für die digitale Kommunikation mit Verbrauchern Telemediendienste, also zum Beispiel Websites, Apps und Onlineshops. Auch Bankdienstleistungen sind dabei ein großes Thema. Das macht Sie zu Leistungserbringern für Verbraucherinnen und Verbraucher. Als Leistungserbringer gilt zum Beispiel, wer über die Website oder den separaten Onlineshop Produkte oder Dienstleistungen verkauft oder Apps und Dokumente zum Download anbietet.
Weitere Beispiele für die typische Nutzung digitaler Anwendungen:
- Nutzende möchten sich auf der Website in einen Kundenbereich einloggen
- Nutzende möchten über ein Helpdesk-System ein Support-Ticket eröffnen
- Nutzende möchten online einen Termin vereinbaren
- Nutzende möchten ein Kontaktformular ausfüllen
- Nutzende möchten einen Chatbot oder Rückrufservice nutzen
3. BFSG: Welche Anforderungen und Standards müssen/sollten erfüllt werden?
Es ist wichtig, dass die technischen Standards der Barrierefreien Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) und die Erfolgskriterien der Web Content Accessibility Guideline (WCAG 2.1, später 2.2) beachtet und erfüllt werden. Die BITV soll dafür sorgen, dass moderne Informations- und Kommunikationstechnik barrierefrei genutzt werden kann. Sie erklärt, wie das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) im IT-Bereich angewendet werden soll. Die Web Content Accessibility Guideline, kurz WCAG, ist ein internationaler Standard des World Wide Web Consortiums, kurz W3C und zeigt, wie man Internetangebote barrierefrei gestaltet.
Im Großen und Ganzen sollen die Standards und Kriterien dafür sorgen, dass die vier Grundprinzipien der Barrierefreiheit erfüllt werden.
- Wahrnehmbarkeit – Text-Alternativen, zeitgesteuerte Medien, Anpassbarkeit und Unterscheidbarkeit
- Verständlichkeit – Lesbarkeit, Vorhersehbarkeit und Hilfe zur Fehlervermeidung
- Bedienbarkeit – Tastaturbedienbarkeit, ausreichend Zeit, Anfälle (Schwindel, Epilepsie, oder ähnliches) vermeiden, Orientierung unterstützen und Eingabemodalitäten
- Robustheit – Valide Code-Basis (HTML, CSS) und Kompatibilität
4. Welche Möglichkeiten und Chancen bieten barrierefreie IT-Lösungen für Unternehmen?
In Deutschland würde aktuell jeder Zweite von mehr digitaler Barrierefreiheit profitieren, denn wir alle sind auch Verbraucher*innen. Es ist schwierig, die Anzahl der Menschen zu bestimmen, die mit vorübergehenden oder situativen Behinderungen zu kämpfen haben. Gleichzeitig ist die Zahl derer, die dauerhaft betroffen sind, höher als man denkt.
- In Deutschland gibt es ca. 10,4 Millionen Menschen mit einer dauerhaften Behinderung. Rund 7,5 Millionen Menschen mit einer schweren und ca. 2,8 Millionen mit einer leichten Behinderung.
Das macht ca. 12,5 Prozent der gesamten Bevölkerung aus. - Zusätzlich nimmt in einer alternden Bevölkerung der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen stetig zu. 18,2 Millionen Menschen – fast 22 Prozent – sind über 65 Jahre alt.
- Hinzu kommen in Deutschland noch 6,2 Millionen Menschen, die nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben können. Das sind 7,5 Prozent der Bevölkerung.
Wie das Handelsblatt schreibt, repräsentieren Menschen mit Behinderung in der EU eine Kaufkraft von 2,3 Billionen Euro pro Jahr.
Barrierefreie IT-Lösungen sind also nicht nur ein Muss, sondern bieten Unternehmen auch jede Menge Chancen für mehr Umsatz, höhere Marktanteile, neue Kundinnen und Kunden, ein besseres Image und die Nutzung von Wettbewerbsvorteilen.
Chancen und Mehrwerte für Ihr Unternehmen:
- Sie erhöhen die Zugänglichkeit für alle Nutzenden
- Sie verbessern die Nutzererfahrung/ das Nutzererlebnis
- Sie gewinnen Marktanteile über neue Zielgruppen
- Sie sorgen für Effizienz und Zeitersparnis
- Sie sorgen für effektive und umfassende Unterstützung
- Sie verbessern die Suchmaschinenoptimierung (SEO)
- Sie verbessern Ihre positive Markenwahrnehmung
- Sie steigern Ihren Umsatz
- Sie gewinnen neue Mitarbeiter*innen
„Barrierefreie IT-Lösungen werden zu einer Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Kommunikation sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich!“
5. Fazit: Barrierefreiheit als Erfolgsfaktor für Ihr Unternehmen
Das BFSG setzt wichtige Standards, die dafür sorgen werden, dass digitale Barrierefreiheit bald ganz normal sein wird, in allen Bereichen. Die Umsetzung dieser Standards ist nicht nur eine wichtige rechtliche Absicherung für Ihr Unternehmen, sondern eröffnet auch neue, vielversprechende wirtschaftliche Möglichkeiten und kann zudem ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sein. Für Ihr Unternehmen bietet sich hier die Möglichkeit, die digitale Transformation aktiv und verantwortungsvoll mitzugestalten. Der 28. Juni 2025 kommt schneller als man denkt – planen Sie die Prüfung und Umsetzung der Barrierefreiheit rechtzeitig ein und führen Sie im ersten Schritt eine Bestandsaufnahme durch, damit Sie genau wissen, wo Sie stehen.
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Diese finden Sie direkt bei rocket-media unter www.rocket-media.de/bfsg
Quellen:
Zum Autor
Stephan Paschkin ist IT-Berater bei rocket-media und spezialisiert auf Vertrieb und Kundenentwicklung. Mit seiner praktischen Erfahrung in der Webentwicklung kombiniert er technisches Fachwissen mit kundenorientierter Beratung. Sein Fokus liegt darauf, innovative Technologien und aktuelle IT-Trends in Lösungen zu integrieren, die individuell auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden abgestimmt sind.

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