Agile und UX im Kurzprofil

Oft begegnet man in der menschzentrierten Produktentwicklung noch dem Prinzip des „Upfront UX“ (vorausgesetzte UX) – hier wird das komplette Produktkonzept vor der tatsächlichen Entwicklung ausgearbeitet. In diesem Setup werden selbstverständlich nutzerzentrierte Methoden wie Prototyping oder Usability-Tests eingesetzt, aber alle daraus gewonnenen Erkenntnisse werden oft in einer umfangreichen Dokumentation festgehalten und anschließend nach Freigabe des Kunden umgesetzt. Im Gegensatz dazu arbeitet man innerhalb eines agilen Projektes mit kurzen iterativen Sprints, die z.B. alle zwei Wochen neu definiert und wieder gespiegelt werden.

Im Scrum Prozess befinden sich im Sprint Backlog alle kleinen Arbeitspakete des zu entwickelnden Produktes, die in den bis zu 30-tägigen Sprints iterativ umgesetzt werden.

Doch was ist überhaupt Lean UX?

Hierfür muss man erst einmal die Begriffsbestandteile separat betrachten. Was UX ist kann hier nachgelesen werden. Und was bedeutet Lean? Die Lean-Thinking-Bewegung basiert auf der Idee, so schnell wie möglich zu lernen und wurde in den 1980-Jahren in der Softwareentwicklung bekannt. Dieser Ansatz basiert darauf, dass schnell festgestellt werden kann, ob das Richtige entwickelt wurde oder nicht, man lernt daraus und iteriert in kurzer Zeit weiter. Somit bildet Lean UX eine Kombination aus agiler Softwareentwicklung und UX-Ansätzen, so dass Designentscheidungen kontinuierlich mit Nutzer*innen validiert werden.

Die drei iterativen Phasen von Lean UX basieren auf dem gemeinsamen Finden einer Lösung („Think“), Bauen einer funktionsfähigen Version („Make“) sowie Überprüfen der aufgestellten Hypothesen („Check“) und sind Bestandteil jedes Sprints. Damit man mit dem Lean UX Ansatz Erfolge verzeichnen kann, sollte man folgende Grundprinzipien beachten:

  1. Interdisziplinäre Teams sind das A und O

    In einem Team sollten nicht nur verschiedene Software-Entwickler vertreten sein, sondern im besten Fall auch weitere Experten aus UX, Design, Produktmanagement, Qualitätssicherung und Marketing. Wichtig ist, dass jeder relevante Bereich einen Vertreter im Team hat. Denn jeder Vertreter bildet einen wichtigen Aspekt für die Produktentwicklung im Team ab und bringt eine eigene Sichtweise auf das Produkt mit. Jedoch sollte das Team nicht mehr als 10 Mitglieder haben, damit sich Teamgeist entwickeln, die Kommunikation einfach gehalten und die Teameffizienz steigen kann.
  1. Annahmen formulieren & überprüfen

    Zu Beginn entwickeln die Teammitglieder eine Beschreibung des möglichen Nutzungskontexts, basierend auf Ihrem Wissen und ihren Annahmen. Da sich Wünsche und Bedürfnisse von Nutzerinnen nicht in den Räumen eines Unternehmens bei verschiedensten internen Diskussionen festlegen lassen, sollte man diese anschließend direkt mit Nutzerinnen erheben und nicht hinter verschlossenen Türen frei festlegen. Denn was bringt es einem Unternehmen, wenn ein Produkt ausgiebig und kostenintensiv entwickelt wurde, die eigentlichen Anwender es am Ende jedoch weder verwenden möchten noch einen Nutzen haben? Da unser Wissen über Nutzerinnen und ihrem Nutzungsverhalten oft lücken- oder fehlerhaft ist, wird jede Annahme mit Nutzerinnen direkt überprüft, so dass Konzept und Design nicht auf unsicheren Annahmen beruhen. Daher wird der eigentliche Nutzer schon viel früher in den Entwicklungsprozess einbezogen– am besten in jedem Sprint, bevor viel Zeit und Ressourcen in die Entwicklung gesteckt wurden.

Annahmen im blauen Bereich werden dementsprechend vor der Umsetzung erst einmal überprüft und dann realisiert, wenn sie durch Nutzer*innen bestätigt wurden.

  1. Kleine Arbeitspakete

    Damit die Planung eines Projektes so übersichtlich wie möglich wird, müssen die Arbeitspakete so klein wie möglich geschnürt werden. Sobald ein Feature konzipiert und getestet wurde, kann es in die Umsetzung gehen. Jedoch sollte vermieden werden, dass ungetestete Features implementiert werden, denn es werden wirklich nur notwendige Funktionen und Designs umgesetzt, damit das Team vorankommt und das Qualitätsniveau hochgehalten werden kann.

Unnötige Features eines Produktes sollen vermieden werden, so dass man am Ende des Projektes ein MVP (Minimal Viable Product) hat, welches man stets weiterentwickeln und ausbauen kann. Dieses MVP ist die erste minimal funktionsfähige Iteration eines Produkts und enthält nur die wichtigsten Kernfunktionen, so dass Anwender das Produkt grundsätzlich verwenden und den größtmöglichen Mehrwert daraus ziehen können. So können Ressourcen geschont werden und das Team fokussiert sich nicht auf überflüssige Elemente, welche Nutzer*innen am Ende ggf. nicht benötigen.

  1. Kontinuierliches Lernen

    Während des gesamten Entwicklungsprozesses werden regelmäßig Termine eingehalten, die sowohl vom gesamten Team sowie dem Kunden besucht werden. Hier werden regelmäßig verschiedene qualitative und quantitative Methoden, wie z.B. Kundenbefragungen, durchgeführt. So soll das gesamte Team am Ende ein Gespür dafür entwickeln, wie Nutzer*innen das Produkt verwenden und wo deren Bedürfnisse und Probleme liegen.
  1. Fehler sind erlaubt
    Fehler sind keineswegs etwas Schlechtes, denn sie helfen dem Team daraus zu lernen und noch besser zu werden. Misserfolge helfen, das Ziel zu erreichen, denn das Team lernt, welche Wege es nicht mehr verfolgen muss. Diese Kultur des Lernens aus Fehlern ist zentral für Lean UX. Nur wenn Fehler erlaubt sind, hat ein Team die Freiheit, kreative und innovative Ideen zu verfolgen.

Fazit
Mit diesen Grundprinzipien bringt man agile Softwareentwicklung und menschzentrierte Gestaltung zusammen. Es reicht natürlich nicht, wenn man nur diese genannten Prinzipien ändert, man muss auch seine Denkweise anpassen. So können Produkte entwickelt werden, die zum einen einfach zu bedienen sind, aber auch ästhetisch und messbar erfolgreich sind. Die Nutzungskontextanalyse, UX Konzeption, Nutzertests und weitere UX-Methoden werden direkt in die Sprint-Planung integriert. So erfahren alle Teilnehmer zeitnah und ohne Informationsverlust von Erkenntnissen und Ergebnissen. Wer sich jedoch mit dem Lean UX Prozess auseinandersetzen möchte, der benötigt unbedingt einen UX Professional im Team, der sich mit den damit verbundenen Methoden auskennt.

Zum Autor
Sandra Raab ist UX Designerin und Projektleiterin bei rocket-media. Als Scrum Master begleitet und leitet sie Teams in verschiedenen agilen Projekten und betreut hier namhafte Kunden aus Mittelstand und Industrie sowie der Finanzbranche. Als Certified Professional for User Requirements kann sie ihre Kunden und Projekte bestens im Bereich der Konzeption und Nutzeranforderungen unterstützen sowie Designvorschläge und Layouts entwickeln.

Bildquelle: rocket-media